Corinne Abele ist seit 1998 für Germany Trade & Invest in Greater China tätig. Seit 2014 führt sie das Büro in Shanghai.
Bereits über zwei Jahrzehnte lang analysiert die Journalistin, Diplom-Volkswirtin und Osteuropa-Historikerin Chinas Wirtschaftsgeschehen und Branchenentwicklungen vor Ort in zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen. Zu ihren Spezialthemen zählen Innovation, Digitalisierung, Umweltschutz, Industriepolitik sowie Wettbewerbscharakteristika in China.
Gerade für die Automobilbranche ist und bleibt China ein äußerst wichtiger Markt. Allein 67 Prozent aller weltweit verkauften Fahrzeuge mit alternativem Antrieb (NEV – New Electric Vehicles) fanden in den ersten acht Monaten 2024 in China statt. Und über die Hälfte aller NEV rollten Ende 2023 auf Chinas Straßen. Die beiden Zahlen machen Chinas Ausnahmerolle und seine Bedeutung für die Elektromobilität weltweit deutlich.
Die Automobilbranche durchläuft derzeit gleich mehrere Transformationen: hin zur Elektromobilität und zum autonomen Fahren. Die bisherigen Wettbewerbsverhältnisse werden kräftig durcheinander gerüttelt. China ist jeweils in der Spitzengruppe: Der Umbau hin zur Elektromobilität ist bereits unumkehrbar. Erstmals wurden im Juli 2024 mehr Elektrofahrzeuge als Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb erkauft. Bereits 42,8 Prozent aller in den ersten drei Quartalen 2024 in China verkauften Neuwagen waren NEV; bei Personenkraftwagen allein lag der Anteil bei 46,8 Prozent.
Unangefochtener Spitzenreiter ist laut der China Passenger Car Association (CPCA) BYD mit 2,467 Millionen verkaufter NEV im Einzelhandel und damit einem Anteil am Gesamtmarkt von 34,6 Prozent. Als einziger Hersteller kann der Shenzhener Auto- und Akkubauer alle Preissegmente bedienen.
Und auch autonomes Fahren auf Level 3 und vereinzelt Level 4 wird bereits in mehreren Pilotzonen und Pilotprojekten getestet. In Beijing und Shenzhen, aber auch in Shanghai, Guangzhou, Wuhan oder Chongqing fahren bereits erste Taxis – ohne Fahrer. Firmen wie Baidu Apollo, AutoX oder WeRide sind hier Pioniere. Zwar dürfen sie fahrerlose Fahrdienste mit Level 4 anbieten, allerdings die Fahrzeuge selbst nicht verkaufen. Noch gibt es zu viele Fragen im Bereich Haftung und Versicherung. Start-ups wie Pony.ai oder Momenta arbeiten mit unterschiedlichen Autobauern zusammen, um ihre Algorithmen und künstliche Intelligenz für die smarten und vernetzten Autos der Zukunft zu trainieren.
Wer diese neuen, unumkehrbaren Trends im chinesischen Markt mit seinen Produkten und Technologien unterstützen kann, für den ist das Land grundsätzlich attraktiv. Auch wer nah an den innovativen Trends sein will, die aus China auf die globalen Märkte kommen, sollte vor Ort sein. Dabei ist das Umfeld wohl das preissensitivste und wettbewerbsintensivste weltweit. Diesem starken Wettbewerb, der mit hoher Innovationsgeschwindigkeit punktet, aber auch immer häufiger zu ruinösen Preiskämpfen führt, muss sich ein erfolgreiches Unternehmen stellen wollen und können. Für manchen mittelständischen Zulieferer ist dies eine äußerst schwierige Aufgabe. Selbst große internationale deutsche Autobauer sind stark unter Druck.
Allein auf internationale Automobilbauer als Abnehmer in weltweit größten Automobilmarkt zu setzen, reicht längst nicht mehr. Der Anteil deutsche Automarken am chinesischen Kfz-Markt ist von rund 50 Prozent im Jahr 2000 auf inzwischen knapp über 20 Prozent gesunken. Nur wer als Zulieferer auch für chinesische Autobauer interessant ist, sollte neu in den Markt gehen. Denn auch die internationalen und deutschen Autobauer vor Ort wie Volkswagen, Daimler oder BMW geben den gewaltigen Preis- und Geschwindigkeitsdruck an ihre Zulieferer weiter. Dabei setzen sie auf weitere Lokalisation vor allem von Entwicklung und Innovation. Allein in die Erweiterung seines Elektroautomobilwerks in Shenyang plant beispielsweise BMW weitere 2,6 Milliarden Euro zu investieren.
Ebenfalls ist zu bedenken, dass wir künftig mehr chinesische Autobauer in Drittmärkten sehen werden. Massiv bauen Chinas Branchenführer ihre Vertriebsnetzwerke und Produktionsstätten vor in ASEAN, Lateinamerika und Europa aus. Starke mittelständische Kfz-Zulieferer in China sehen daher in der Zusammenarbeit mit chinesischen OEMs künftig auch Chancen für Drittmärkte.
Um mit dem komplexen Umfeld in China zurecht zu kommen, ist eine gute Vorbereitung unabdingbar. Diese Zeit sollte man sich unbedingt nehmen. Informationen und Unterstützung gewähren verschiedene Institutionen bereits in Deutschland wie die Industrie- und Handelskammern oder die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI). Für letztere beobachte ich seit über 20 Jahren die Wirtschaft im chinesischsprachigen Raum, seit 2014 in Shanghai. Dabei berichte ich regelmäßig über die Entwicklungen im Automobilbereich des Landes. Unsere Informationen über China auf unserer Website www.gtai.de schließen sowohl Markt- und Branchentrends ein als auch Änderungen und Entwicklungen im Rechts- und Zollbereich in China.
Ebenfalls ist die deutsche Auslandshandelskammer mit ihren drei Hauptvertretungen in Peking, Shanghai und Guangzhou sowie weiteren sieben kleineren Standorten plus Hongkong in China eine gute Anlaufstelle für interessierte deutsche Unternehmen. Branchenverbände wie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) oder der Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI) sind ebenfalls vor Ort und unterstützen ihre Mitgliedsfirmen. Einen Überblick über wichtige Anlaufstellen für die deutsche Wirtschaft in der Volksrepublik bietet der GTAI-Artikel: Großes Netzwerk unterstützt deutsche Unternehmen in China | Wirtschaftsumfeld | China | Deutsche Institutionen.
China war noch nie ein einfacher Markt – und ist jetzt noch komplexer als zuvor. Dies gilt gerade für die Automobil- und ihre Zuliefererbranche, denn die gesamte Branchenlandschaft befindet sich im Umbau. Nur mit innovativem Produkt oder innovativer Technologie ist ein erfolgreiche Markteintritt noch zu schaffen. Zusätzlich muss von Anfang an ein gutes Verständnis der chinesischen Kundschaft in der Automobilbranche vorhanden sein.
Im Vergleich zu früher ist heute der Schritt in den Markt gleich am Anfang mit deutlich höheren Kosten verbunden. Ein langsames Herantasten über Belieferung aus dem Ausland ist kaum noch möglich; früh muss in der Regel Vertretung und Lokalisierung im Markt erfolgen. Gerade kleine Unternehmen denken daher auch immer wieder über Kooperationen und Partnerschaften mit lokalen Partnern nach. Dies ist prinzipiell möglich, allerdings müssen gründliche Recherchen über eventuelle Partnerunternehmen inklusive der dort handelnden Personen vorangehen, um Risiken zu vermeiden. Hier können die vorher genannten Einrichtungen unterstützen.
Wichtig ist auch, von Anfang an die Kosten im Blick zu haben und sich nicht zu weit von den Preisangeboten der chinesischen Konkurrenz im Zuliefererbereich zu entfernen. Man muss sich dem hier herrschenden teilweise ruinösen Preiskampf stellen können. Entscheidungen sind bei Misserfolgen schnell und flexibel zu revidieren und an geänderte Bedingungen anzupassen.
Gleichzeitig gilt es die neuen geopolitischen Risiken einzukalkulieren. Im Kampf um Technologievorherrschaft setzen die USA auf gezielte Exportverbote (vor allem im Halbleiterbereich) nach China. China wiederum erhöht seine Exportkontrolle für seltene Erden, aber zum Beispiel auch für Technologien zur Batterieherstellung. Derzeit sieht es eher danach aus, dass künftig mit weiteren Maßnahmen auf beiden Seiten zu rechnen ist.
Für europäische Unternehmen ist dieser mit industrie- und handelspolitischen Mitteln geführte geo-strategische und technologische Hegemoniekonflikt zwischen den USA und China äußerst gefährlich, da nicht kalkulierbar. Bei Handel oder Investitionen mit und in China müssen deutsche Unternehmen inzwischen immer mögliche Konsequenzen für Märkte außerhalb Chinas, insbesondere die USA, miteinbeziehen. Wer sich in China engagiert, sollte dies daher immer im Rahmen einer Diversifizierungs- und Resilienzstrategie tun.